Die Sache mit der Ignoranz in der Erziehung

Was ist dran? Kann man falsches Verhalten allein durch Ignorieren korrigieren?



Ich konstruiere mal ein Beispiel aus der Menschenwelt. Ein befreundetes Pärchen besucht uns mit ihrer kleinen Tochter. Während wir Erwachsenen gemütlich beim Kaffee sitzen, hopst die Kleine unentwegt mit ihren schmutzigen Straßenschuhen auf unserem schönen, neuen Sofa herum.


Preisfrage: Wie lange müssen wir das Rumgehopse ignorieren, damit das Kind versteht, dass das Verhalten falsch ist und damit aufhört?


Und gleich die nächste Frage: Was schlussfolgert sie aus unserer Ignoranz?

A) „Oh, die beachten mich gar nicht, bestimmt mache ich was falsch. Ich probiere mal was anderes.“ oder

B) „Ha, die beachten mich gar nicht, es scheint also niemanden zu stören, was ich hier mache. Dann kann es ja so falsch nicht sein.“


Schon dieses kleine Beispiel zeigt, dass die Sache wohl doch nicht so einfach ist. Das Fachwort, das an dieser Stelle üblicherweise benutzt wird, heißt „selbstbelohnendes Verhalten“. Immer dann, wenn ein Verhalten die Belohnung, den Erfolg selbst mitbringt, ohne dass ein Außenstehender etwas dazu beitragen muss, kann es nicht durch Ignorieren verändert werden. Dazu zählt jede Form von Aggressions- und Bellverhalten, jede Form von Jagdverhalten, fast jede Form von Verhalten, dass aus Angst resultiert (Flucht ist selbstbelohnend, wenn man dadurch der Gefahr entkommt) und noch eine Menge anderer Verhaltensweisen. Manche Belohnungen entstehen durch den Erfolg, den man mit dem Verhalten hat. Für andere Belohnungen reicht allein das Verhalten aus, weil im Körper Glückshormone ausgeschüttet werden wie beispielsweise beim Bell- oder Jagdverhalten.


Bleibt da überhaupt noch was zum Ignorieren übrig?


Es ist eigentlich ganz einfach, ignorieren kann ich immer dann, wenn der Hund mich zur Erfüllung seines Bedürfnisses braucht. Der Klassiker ist das berühmte Betteln am Tisch. Wenn ich den Hund jedes Mal komplett ignoriere, wird er nach einer Weile das Betteln einstellen, natürlich nicht, ohne vorher sein ganzes Repertoire an Bettelkünsten aufgefahren zu haben.



Die Krux an der Sache ist nur, dass eine einzige Inkonsequenz reicht, um das komplette Verhalten wieder zu reaktivieren. Unsere Säugetiergehirne sind nämlich für variable Belohnungen (mal hat man Erfolg, mal nicht) besonders empfänglich. Eine ganze Industrie baut auf diesem Prinzip auf, oder warum spielen so viele Menschen Woche für Woche Lotto? An den hohen Gewinnchancen kann es nicht liegen.


Und so erkennen wir, dass selbst in Bereichen, wo Ignorieren durchaus Erfolg haben kann, Grenzen gesetzt sind. Ignorieren funktioniert nämlich nur dann, wenn der Mensch mehr Geduld und Ausdauer hat als der Hund und zu mind. 120% konsequent ist. Ich kenne nicht wenige Halter, die letztlich genau daran scheitern. Wenn man also das nächste Mal den Tipp bekommt, das unerwünschte Verhalten einfach zu ignorieren, sollte man sich überlegen, welche der o.g. Kriterien das Verhalten erfüllt. Hat der Hund ohne mich Erfolg oder kann ich die nötige Ausdauer und Konsequenz nicht leisten, dann ist Ignorieren sogar eine sehr gute Methode, dass Verhalten noch zu verstärken.


Autorin: Michaela Wielan