Hilfe, mein Hund ist aggressiv

Wenn ich als Kind mit meinen Eltern und unseren Schäferhunden auf dem Hundeplatz war, wurde mir jedes Mal eingeschärft, dass ich die fremden Hunde auf keinen Fall anfassen darf, da sie evtl. beißen könnten. Auch wäre meine Mutter in den späteren Jahren nie auf die Idee gekommen, unseren Pudel einfach so zu unbekannten Hunden zu lassen, damit er mal "Hallo" sagen kann. Bellende Hunde hinter dem Zaun waren der Stolz des Besitzers, weil sie so gut das Haus bewachten.


Das Bild vom Hund hat sich grundlegend gewandelt. Jede Form von Aggression gilt als No-Go, der Halter wird fast schon geächtet, wenn sein Hund auch nur mal knurrt. Hunde müssen heute mit allem und jedem kompatibel sein, seien es Hunde oder Menschen. Kein Wunder also, dass der Leidensdruck der Menschen besonders groß ist, wenn der eigene Hund eben nicht Everybodys Darling ist.

Formen und Funktionen der Aggression

Ein aggressiver Hund hat ein Problem oder einen Konflikt, den er auf diese Weise zu lösen versucht.


Aggressionen können auftreten


  • bei körperlichen Beschwerden wie Schmerzen
  • bei körperlichen Beeinträchtigungen (z.B. schlechte Augen, schlechtes Hörvermögen)
  • aus Angst oder Unsicherheit
  • aus Frust
  • in Verbindung mit Ressourcen (Futter, Spielzeug, Sozialpartner, Territorium)
  • im sozialen Kontext (Antipathien, Status-Konflikte)
  • hormonell bedingt (Läufigkeit, mütterliche Aggression, Konkurrenz unter Rüden)
  • durch zu grobes Spiel


Je nach Auslöser und beteiligten Hormonsystemen wird Aggression eingeteilt in


  • Selbstschutzaggression
  • elterliche Schutzaggression
  • Wettbewerbsaggression


Entsprechend ist das Ziel des aggressiven Verhaltens, die eigene körperliche Unversehrtheit oder die der Sozialpartner zu erhalten bzw. Auseinandersetzungen um Ressourcen zu vermeiden bzw. für sich zu entscheiden.

Wann beginnt Aggression bzw. wann könnte aggressives Verhalten ausgelöst werden


Immer wieder hört man den Satz "Und plötzlich aus heiterem Himmel hat er zugebissen." Auch wenn die Boulevardpresse uns gern ein anderes Bild vermitteln will, kein Hund beißt einfach so oder bellt und pöbelt, weil ihm gerade danach ist. Und sei es, dass der Hund nur versucht, durch besonders lautes Auftreten seine eigene Unsicherheit zu kaschieren. Dem, was wir als Aggression wahrnehmen, gehen oft eine Reihe von Signalen voraus, die wir Menschen leider oft übersehen. Entweder, weil wir nicht darauf achten oder, weil es zu schnell geht.


Hunde verändern im Konfliktfall ihre ganze Körpersprache. Die Muskeln spannen sich an und der ganze Hund wird steif. Die Bewegungen sind stark verlangsamt oder der Hund friert ganz ein. Der Blick ist starr, das Gegenüber wird ggf. fixiert oder der Hund scheint durch einen hindurchzugucken. Die Rute oder der Rutenansatz geht meist stark nach oben. Manchmal werden die Lefzen hochgezogen, vielleicht nur für einen kurzen Moment. Für den flüchtigen Betrachter wirkt der Hund ganz ruhig. Wenn man aber genau hinsieht, sieht man die Anspannung. Der Hund sagt in seiner Sprache ganz deutlich "Halt, hier ist meine Grenze!"


Alternativ kann der Hund auch eine Reihe von Beschwichtigungssignalen senden. Der Körperschwerpunkt ist nach hinten, als wolle der Hund jeden Moment fliehen. Er wendet vielleicht den Kopf oder nur den Blick ab, züngelt, hechelt als Zeichen von Stress, die Rute ist vielleicht eingeklemmt, die Ohren nach hinten geklappt. Er möchte gern der Situation entkommen, kann aber nicht und alle seine Bemühungen, die Situation zu entschärfen, werden übersehen. Im nächsten Moment schießt der Hund plötzlich mit lautem Getöse nach vorn, weil er für sich keinen anderen Ausweg mehr sieht.

Aggression als natürlicher Bestandteil im sozialen Kontext


Wie eingangs erwähnt, haben Hundehalter heute das Bild vom jederzeit zu jedem Lebewesen freundlichen Hund vor Augen. Wir wünschen uns Harmonie auf der Hundewiese, eitel Sonnenschein bei Besuch und lustige Spiele mit Nachbars Kindern. Gleichzeitig sind wir abends im dunklen Park froh, einen Hund neben uns zu wissen oder verlassen uns auf den Beschützerinstinkt unseres Hundes, wenn wir abends die Haustür abschließen. So ein bisschen Aggression ist uns im Zweifelsfall dann nämlich doch nicht so unrecht.


Ob ein Hund jeden fremden Hund auf der Straße begrüßen möchte oder fremde Hunde als Gefahr für das eigenen Territorium, den Sozialverband oder die eigene Unversehrtheit betrachtet oder ob ein Hund freudig auf fremde Menschen zugeht, ihnen lieber ganz aus dem Weg geht oder sie zwar in seiner Nähe akzeptiert, aber auf keinen Fall angefasst werden möchte, hängt von vielen Faktoren ab.


Da spielt natürlich die Rassezugehörigkeit eine große Rolle. Aber, auch wenn es gern so gesehen wird, eine bestimmte Hunderasse ist noch keine Garantie für immerwährende Freundlichkeit. Es hängt auch viel von der Sozialisation, von Erfahrungen und nicht zuletzt von der individuellen Persönlichkeit des Hundes ab, wie er auf sein soziales Umfeld reagiert.


So wie bei uns Menschen auch gibt es Sympathien und Antipathien. Wenn mein Bello den Hund vom Nachbarn nicht ausstehen kann, dann werden die Beiden auch mit dem besten Training keine Freunde werden. Es gibt gesellige Typen und Eigenbrötler, aufgeschlossene und schüchterne, selbstbewusste und unsichere, Hunde, die nichts aus der Ruhe bringen kann und solche, die beim kleinsten Anlass die Nerven verlieren. Die Bandbreite ist groß.


Aggression ist erstmal eine normale Reaktion, ein von der Natur vorgesehenes Verhaltensmuster, um Konflikte lösen zu können, die anders scheinbar nicht zu lösen sind. Es ist in jedem Fall unsere Aufgabe, durch geeignetes Management dafür zu sorgen, dass niemand zu Schaden kommt. Es sollte außerdem unsere Aufgabe sein, die Ursachen zu finden und entweder die Auslöser zu beseitigen oder dem Hund realistische Alternativen aufzuzeigen. Denn ein aggressiver Hund hat Stress, was auf Dauer sogar zu gesundheitlichen Schäden führen kann.



Aggression kann plötzlich aus der Situation heraus auftreten, aber auch erlernt sein. Wenn ein Hund immer wieder einer unangenehmen Situation ausgeliefert ist, hat er vielleicht einmal die Erfahrung gemacht, dass er durch Knurren oder ein kurzes Abschnappen die Situation beenden konnte. Beim nächsten Mal probiert er die Strategie wieder, hat wieder Erfolg. Bleibt der Erfolg aus, wird der Hund sich etwas steigern, bis wieder der Erfolg eintritt. Und so übt und lernt der Hund, dass er nur böse genug sein muss, damit sich die Situation für ihn zum Guten wendet.


Je länger Aggression auf diese Art trainiert wird, je schwieriger und langwieriger ist es, dem Hund das Verhalten wieder abzutrainieren. Daher sollte man gerade bei Aggressionsverhalten rechtzeitig Hilfe suchen und gemeinsam mit einem guten Hundetrainer die Ursachen finden und beseitigen. Es hilft in der Regel wenig oder nur kurzfristig, nur an den Symptomen zu arbeiten. Solange die Ursache der Aggression bestehen bleibt, kann man die Aggressionen bestenfalls unterdrücken. Aber sobald die Kontrollinstanz wegfällt, wird sich die Aggression wieder Bahn brechen, im schlimmsten Fall heftiger als jemals zuvor.


Autorin: Michaela Wielan