Souveräne Führung, wie geht das?
Als mein Rüde Felix im Alter von ca. 1,5 Jahren anfing, auf andere Rüden loszugehen, las und hörte ich von vielen Seiten Sätze wie "Du musst die Führung übernehmen.", "Du musst ihm Sicherheit geben.", "Du musst die Verantwortung übernehmen.", "Du must souverän sein, damit er dir vertrauen kann." Auf meine Frage, wie ich das denn machen soll, bekam ich dann oft zu hören: "Ja, wie soll man das erklären." Heute werde ich oft gefragt "Wie geht das?" und denke mir dann: "Ja, wie soll ich das erklären." Hier nun ein Versuch, meinen Weg zu mehr Souveränität und meine Idee von Führungsfähigkeiten zu beschreiben:
Alles begann im Frühjahr 2011. Felix entdeckte seine Männlichkeit und fing an, uns vor fremden Rüden zu verteidigen und unser Revier abzusichern. Hundebegegnungen endeten in regelrechten Ausrastern, wütendem Gebell, zerren an der Leine und ich verlor jede Menge Nerven. Wenn ich schon sah, dass uns andere Hunde entgegenkamen, brach mir der Schweiß aus. Bei einigen Kandidaten zog ich gleich die Flucht vor. So hatte ich mir mein Leben mit Hund nicht vorgestellt.
Die Theorie
Ich las Bücher und schaute DVDs, lernte eine Menge über hündische Kommunikation, über Strukturen in Hundegruppen und darüber, wie wir Menschen diese Erkenntnisse auf unsere Beziehung zu unseren Hunden übertragen sollten. Nach einem Seminar fing ich also an zu blocken, zu "kschten" und glaubte, mit meinen Hunden artgerecht zu kommunizieren und Führung auszustrahlen. Ich kopierte die Choreografie einiger Trainer, nur um damit gnadenlos zu scheitern. Entweder hatte ich einen Hund, der mich mied und wahrscheinlich für unzurechnungsfähig hielt oder mich ignorierte und überhaupt nicht ernst nahm. Parallel dazu war ich bei einem Trainer im Einzeltraining, der mir zeigte, wie ich meinen Hund auf sanfte Weise stoppen sollte. Auch das hatte eher mäßigen Erfolg. Mein Problem war, dass Felix die Dinge selbst in die Hand nehmen wollte. Es fehlte an Vertrauen und Orientierung.
Das Vorbild
Nun habe ich das große Glück, nicht nur zwei Hunde zu haben, sondern auch eine Hündin, wie sie im Umgang mit anderen Hunden souveräner kaum sein kann. Bonni korrigiert punktgenau und mit einer unglaublichen Ausstrahlung, sie ignoriert, wenn es angebracht ist, sie kommuniziert ganz klar und entschieden, mit Ruhe und Beharrlichkeit, eine Aktion von ihr und der andere Hund hat es verstanden und respektiert. In der Hundeschule konnte ich mehrfach erleben, wie viel Respekt ihr die anderen Hunde entgegen brachten, einfach so und ohne jede Diskussion. Von Bonni habe ich sehr viel gelernt und als Erstes damit angefangen, mich selbst zu beobachten.
Die Erkenntnis
Im Vergleich mit Bonni fiel mir bei mir selbst eine unglaubliche Hektik auf. Wo Bonni erstarrt und einfach nur guckt, war bei mir viel Bewegung und Aktionismus. Während Bonni aus einer tiefen, inneren Überzeugung heraus handelt, habe ich jede meiner Handlungen sofort hinterfragt und mich entsprechend angepasst, wenn nicht gleich die gewünschte Reaktion eintrat. Wo Bonni keinen Widerspruch duldet und das durch ihre Haltung deutlich macht, habe ich mich immer wieder auf Diskussionen eingelassen. Das war alles Mögliche, aber von artgerechter Kommunikation oder gar souveräner Führung weit entfernt.
Wo ist der Anfang?
Führung ist weder eine Frage von Methoden noch von Ideologien, Führung fängt im eigenen Kopf an. Die Führung zu übernehmen bedeutet in erster Linie, Entscheidungen zu treffen und hinter diesen auch zu stehen. Wie oft habe ich mich dabei ertappt, meinen Entscheidungen nicht zu vertrauen und hatte vorsichtshalber schon Plan B und C im Kopf. Oder ich war mit der Situation einfach überfordert und habe nur noch reagiert anstatt selbst zu agieren. Was für eine Souveränität. Ein Chef, der sich selbst nicht über den Weg traut oder keinen Plan hat.
Die Frage war nun, wie komme ich raus aus diesem Dilemma, wo fange ich an?
Die Voraussetzung
Um sichere Entscheidungen treffen zu können, braucht es Ideen, wie eine Lösung des Problems aussehen könnte. So fing ich an, mir für die wichtigsten Probleme zunächst Management-Lösungen auszudenken und diese dann umzusetzen. Eines meiner Hauptprobleme war, dass Felix mit seinen 36kg in die Leine sprang und ich immer große Mühe hatte, ihn halten zu können. Das war kräfteraubend, beängstigend und brachte uns der Lösung unseres Problems, das Verhalten zu ändern, keinen Schritt näher. Mein Plan sah vor, zukünftig die Leine über den nächstbesten Pfahl oder Pfosten zu schmeißen. Und so gab es eine Zeit, in der kannte ich jeden Zaun, jedes Schild und alle sonstigen Pfähle in unserer Gegend. Ich wurde zum Manager der Situation, gewann an Erfahrungen und Selbstvertrauen und lernte, Entscheidungen zu treffen. Ein gutes Management löst das Problem noch nicht, aber es nimmt den Druck raus und schafft die Basis, um sich mit dem Problem überhaupt auseinandersetzen zu können.
Die Voraussicht
Wer die Führung übernimmt, hat auch die Fähigkeit, Situationen vorauszusehen und schon eine Entscheidung zu treffen, bevor ein Problem überhaupt zum Problem wird. Im Falle unserer Hundebegegnungen hieß das, meinem Hund zu sagen, wie wir mit dem entgegenkommenden Hund umgehen, bevor Felix anfing, sich aufzuregen. Ich habe nicht mehr abgewartet, ob er ein Problem mit diesem Hund hat, sondern einfach dafür gesorgt, dass er erst gar keins bekommt. So sind wir je nach Hund stehengeblieben, eine Bogen gelaufen oder haben die Situation ganz gemieden, wenn ich der Meinung war, diese Begegnung schaffen wir jetzt/heute nicht. Der Unterschied zu früher war, dass ich nicht mehr mit den Gefühl "Hilfe, ein Hund, bloß weg hier." umgedreht bin, sondern mit erhobenen Kopf die Entscheidung traf "Komm Felix, wir gehen woanders lang." Diesen Unterschied spüren auch unsere Hunde.
Das führte nach einiger Zeit dazu, dass Felix mich von sich aus auf Hunde aufmerksam machte, die zum Problem werden konnten, wenn ich sie nicht rechtzeitig sah. Er fing an, meine Entscheidungen einzufordern, er fing an mir zu vertrauen.
Das Selbstvertrauen
Für eine souveräne Führung braucht es ebenso eine gewisse Unabhängigkeit von der Meinung anderer und stattdessen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Wenn ich bei jeder Entscheidung darüber nachdenke, was die anderen jetzt von mir denken und mich womöglich noch vor den ewigen Besserwissern rechtfertige, kann ich kein Selbstvertrauen entwickeln. Und wir kennen sie alle, die selbst ernannten Hundeflüsterer und -versteher, immer einen guten Rat auf den Lippen. Ich lächle dann, nicke dankend und kümmere mich wieder um meinen Hund. Diese Menschen interessiert weder die Ursache des Problems noch, warum wir tun, was wir tun. Rechtfertigen müssen wir uns vor uns selbst und vor unseren Hunden, vor niemandem sonst.
Fairness und Teamplay
Ein guter Chef ist immer fair zu seinem Team. Er kennt die Fähigkeiten und individuellen Möglichkeiten seiner einzelnen Teammitglieder. Und so sollte auch das Zusammenleben mit unseren Hunden aussehen. Ich kann von meinen Hunden immer nur soviel verlangen, wie sie auch zu leisten in der Lage sind. Und es ist meine Aufgabe, für die richtige Motivation zu sorgen. Ebenso ist es meine Aufgabe, die Schwächen meiner Hunde zu erkennen und sie vor Überforderung zu schützen. Springt Felix doch mal wieder in die Leine, habe ich womöglich die Situation falsch eingeschätzt. Damit wären wir schon beim nächsten Punkt:
Mut zu Fehlern
Wer eine Entscheidung trifft, macht zwangsläufig auch Fehler. Das lässt sich gar nicht verhindern und ist auch nichts Schlimmes. Entscheider dürfen Fehler machen! Aus Fehlern lernt man und kann es beim nächsten Mal besser machen. Natürlich darf durch solche Fehler niemand zu Schaden kommen. Ich spreche von Entscheidungen, die man auch noch korrigieren kann, wenn sie in die Hose gehen. Eine beherzte falsche Entscheidung, die anschließend genauso beherzt korrigiert wird, wirft nach meiner Erfahrung das Training weniger zurück als ewiges Zögern und Zweifeln. Und ein erfolgreich korrigierter Fehler wird das Vertrauen unserer Hunde in unsere Fähigkeiten eher noch stärken.
Mut zur Schwäche
Und zu guter Letzt, Entscheider dürfen auch mal schwach sein. Wenn man keine Idee hat oder einfach nur einen schlechten Tag, kann man Problemen auch aus dem Weg gehen und z.B. einfach mal einen Gartentag einlegen. Entscheider dürfen auch mal Fünfe gerade sein lassen und ihrem Team das Feld überlassen. Wenn Felix freudig ein Spielzeug anschleppt (ja, bei uns liegen Spielsachen einfach so rum) und ich hab Lust, dann lass ich mich auf seine Idee ein und spiele mit ihm. Wenn ich auf der Couch sitze und Bonni kommt dazu (ja, unsere Hunde dürfen auf die Couch) und schmiegt sich an mich, dann genieße ich das und wir kuscheln gemeinsam. Bin ich deshalb weniger Chef? Im Gegenteil. Meine Hunde fühlen sich verstanden und mit ihren Bedürfnissen ernstgenommen. Das stärkt das Selbstvertrauen und die Bindung.
Das Training?
Jetzt habe ich so viel über Führung und Entscheidungen geschrieben und keine einzige Trainingsmethode erwähnt. Das liegt daran, dass es DIE Methode nicht gibt. Jedes Mensch-Hund-Team muss seinen eigenen Weg finden und im Dschungel der verschiedenen Trainingsansätze das finden, was zu ihm passt. Wer mit einem Clicker gut zurechtkommt, seinem Hund diverse Tricks beibringen möchte, bitteschön, wer lieber mit Körpersprache arbeiten und auf Leckerlies verzichten möchte, auch gut. Es gibt Hunde, die mit Begeisterung selbständig und kreativ Aufgaben lösen, und dann gibt es Hunde, die schnell überfordert sind und lieber "an die Pfote" genommen werden wollen. So lange man von sich und seinem Trainingsansatz überzeugt ist und voll dahinter steht, ist alles erlaubt, was Hund und Halter nicht schadet.
Mein Fazit
Jeder bekommt den Hund, den er braucht. Und ich brauchte scheinbar einen Hund, der mich dazu bringt, meine Persönlichkeit zu entwickeln und meine Führungstalente zu entdecken. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, das ist ein Prozess, der seit Jahren anhält und sich immer weiter fortsetzt. Es gibt immer wieder neue Herausforderungen zu meistern.
Wer es schafft, sich auf diesen Prozess einzulassen, wird auch im Alltag ohne Hund erstaunliche Veränderungen feststellen. Ich bin heute auch in vielen anderen Situationen gelassener, souveräner und mir selbst treu. Ich vertraue auf meine Fähigkeiten und stehe zu meinen Bedürfnissen. Das war nicht immer so.
Ich danke meinen Hunden, dass sie mich auf diesen Weg gebracht haben und immer noch an meiner Entwicklung arbeiten.
Autorin: Michaela Wielan